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Migrationspolitik in Brandenburg

Mehr Kontrolle, weniger Teilhabe: Die drohenden Folgen des neuen Landesaufnahmegesetzes

18.12.2025

Die brandenburgische Landesregierung plant eine Änderung des Landesaufnahmegesetzes, die voraussichtlich nächstes Jahr verabschiedet wird. Auf den ersten Blick wirkt der vorliegende Entwurf wie eine technische Anpassung. Tatsächlich markiert er jedoch einen deutlichen Kurswechsel in der Migrations- und Unterbringungspolitik des Landes. Statt auf bewährte kommunale Strukturen und lokale Integrationsarbeit zu setzen, droht das neue Gesetz die Grundlagen erfolgreicher Teilhabe zu schwächen. Gleichzeitig bleiben die Potenziale, die Zuwanderung für Brandenburgs gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung bieten, weitgehend unberücksichtigt.

Neue Strukturen für die Unterbringung
Kern des Entwurfs ist eine grundlegende Neustrukturierung der Unterbringung sowie der ausländerbehördlichen und sozialrechtlichen Zuständigkeiten geflüchteter Menschen. Künftig soll nicht mehr nach individuellen Bedürfnissen, sondern nach der sogenannten Bleibeperspektive unterschieden werden. Das neue System beruht auf drei zentralen Elementen.

  1. Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen unmittelbar nach der Ankunft
    Die maximal mögliche Aufenthaltsdauer soll von 18 auf 24 Monate verlängert werden. Für die Betroffenen bedeutet dies eine deutlich spätere Anbindung an das gesellschaftliche Leben im Land. Bis dahin bestehen nur wenige Kontakte zur lokalen Bevölkerung sowie ein erschwerter Zugang zu Bildung und Arbeit. Zudem sind der Besuch von Schule und Kita ausgeschlossen, der Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung eingeschränkt und eine Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren vorgesehen. Für Familien mit minderjährigen Kindern gilt weiterhin eine maximale Aufenthaltsdauer von sechs Monaten. Diese Ausnahme bleibt zwar bestehen, ändert jedoch wenig an der grundsätzlichen Ausrichtung des Modells.

  2. Landesübergangseinrichtungen für Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus
    Geplant sind landeseigene zentrale Übergangseinrichtungen, verteilt über das gesamte Land, für Personen mit ungeklärtem Status. Dazu zählen Menschen in laufenden Klageverfahren, bei Folgeanträgen sowie Personen mit abgelehntem Asylantrag, die eine Duldung erhalten haben. Es zeichnet sich ab, dass auch in diesen Einrichtungen Lebensbedingungen ähnlich denen in Erstaufnahmeeinrichtungen herrschen werden.

  3. Zuständigkeitswechsel in die Kommunen
    Ein Übergang der Zuständigkeit in die kommunale Ebene ist künftig ausschließlich für geflüchtete Menschen mit positivem Aufenthaltsstatus vorgesehen.

Was bedeutet das für Teilhabe und Alltag?
Gesetzliche Änderungen wirken sich unmittelbar auf die Lebensrealität geflüchteter Menschen aus. Die geplanten Anpassungen werden Integrationsprozesse verlangsamen und gut funktionierende lokale Strukturen schwächen. Die Unterbringung in zentralen Landeseinrichtungen schafft räumliche Distanz zur Bevölkerung. Dadurch verringern sich frühe Kontaktmöglichkeiten zu Nachbarschaften, Vereinen, Sprachkursanbietern oder potenziellen Arbeitgebern und der Aufbau stabiler sozialer Netzwerke wird erheblich erschwert.

Abgeschottete und stark reglementierte Unterbringung belastet zudem die psychische Gesundheit. Viele Geflüchtete haben bereits Erfahrungen von Inhaftierung, Krieg, Gewalt oder Verlust hinter sich. Ein Alltag in großen, anonymen Einrichtungen, geprägt von fehlender Privatsphäre, eingeschränkten Handlungsspielräumen und geringen Entwicklungsmöglichkeiten, verstärkt Stress, depressive Symptome oder Angstzustände. In kommunalen Wohnformen entstehen Beziehungen und feste Alltagsstrukturen, die Orientierung und Sicherheit vermitteln und Selbstwirksamkeit stärken. Diese stabilisierenden Faktoren fehlen in zentralisierten Einrichtungen weitgehend.

Kommunale Strukturen, die in den vergangenen Jahren für mehr Teilhabe gesorgt haben, können in Großunterkünften, die durch eine landeszentrale Behörde geführt werden, nur eingeschränkt wirken. Der Auszug in privaten Wohnraum, die Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte, der reguläre Schul- und Kitabesuch für Kinder sowie Möglichkeiten der Selbstversorgung sind nicht vorgesehen. Wenn diese Standards wegfallen, wächst nicht nur die Abhängigkeit von institutionellen Abläufen, sondern auch das Gefühl des Kontrollverlusts, was die psychosoziale Belastung zusätzlich erhöht.

Hinzu kommt die häufig abgelegene Lage großer Sammelunterkünfte. Längere Wege, eingeschränkte Mobilität und fehlende lokale Netzwerke erschweren den Zugang zu Ausbildung, Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe. Die Verbindung aus räumlicher Abgeschiedenheit, geringeren Integrationsmöglichkeiten und eingeschränkter psychosozialer Stabilität kann langfristig zur Verschlechterung von Bildungs- und Arbeitsmarktchancen führen und damit Teilhabe insgesamt erheblich erschweren.

Die Bedeutung der Kommunen für gelingende Teilhabe
Offiziell soll die Reform die Kommunen entlasten. Gleichzeitig entzieht sie ihnen jedoch wichtige Mittel, etwa durch das Auslaufen der Integrationspauschale, und schränkt ihre Handlungsspielräume deutlich ein. Dabei hat Brandenburg insbesondere während der Aufnahme geflüchteter Menschen aus der Ukraine gezeigt, wie wirksam ein dezentraler Ansatz sein kann. Die Möglichkeit der freien Wohnortwahl und die Unterbringung in privaten Wohnungen haben nicht nur kommunale Kapazitäten geschützt. Sie haben auch die Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft aktiviert und Integration von Beginn an erleichtert.

Viele Gemeinden stehen nun vor der Frage, wie sie ihre bewährten Integrationsprojekte künftig sichern sollen. In den vergangenen Jahren haben Brandenburgs Kommunen bewiesen, wie Teilhabe erfolgreich vor Ort gelingen kann. Lokale Netzwerke, engagiertes Ehrenamt und ein früher Fokus auf Teilhabe haben vielerorts stabile und tragfähige Strukturen entstehen lassen. Diese Erfahrung, die räumliche Nähe zu den Menschen und das Wissen aus dem kommunalen Alltag sind zentrale Ressourcen und bleiben für eine erfolgreiche Integrationspolitik unverzichtbar.

Ein alternatives Konzept: Die Kommune der Vielfalt
Statt weiterer Zentralisierung braucht es aus unserer Sicht ein Modell, das auf lokale Stärke setzt. Die Kommune der Vielfalt kann dabei ein Leitbild sein. Sie beruht auf Erfahrungen vieler engagierter Gemeinden und umfasst fünf zentrale Punkte:

• dezentrale Unterbringung, die sich an tatsächlichen Bedürfnissen orientiert und die auf akute neue Bedarfe flexibel reagieren kann.
• frühzeitiger Zugang zu Arbeit und Sprachkursen
• Zugänge zu Bildung, Gesundheit und Wohnen
• eine diversitätsorientierte Verwaltungskultur, die Vielfalt als Chance begreift
• eine starke Zivilgesellschaft, die Teilhabe im Alltag aktiv mitgestaltet

Dieses Modell verbindet Humanität mit pragmatischen Lösungen und nutzt die Potenziale, die vor Ort bereits vorhanden sind.

Eine starke und vielfältige Gesellschaft entsteht dort, wo Menschen sich begegnen, voneinander lernen und Verantwortung füreinander übernehmen. Dies geschieht insbesondere in Städten, Gemeinden und Nachbarschaften. Brandenburg kann zeigen, dass Migration keine Belastung ist, sondern eine gemeinsame Chance. Dafür braucht es jedoch politische Entscheidungen, die auf Kooperation, Teilhabe und lokale Stärke setzen und nicht auf Zentralisierung und Kontrolle.