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Interview

Leben in Ungewissheit: Psychische Gesundheit geflüchteter Menschen in Brandenburg

2.12.2025

Sophie Stopfer ist Psychologin und arbeitet seit August 2022 bei KommMit-PSZ in den Landkreisen Oberhavel und Ostprignitz-Ruppin. In ihrer täglichen Arbeit begleitet sie geflüchtete Menschen, die mit den Folgen von Unsicherheit, langen Asylverfahren und belastenden Lebensumständen umgehen müssen. In den vergangenen Monaten hat sich die Migrationspolitik auf EU-, Bundes- und Landesebene spürbar verschärft. Diese Entwicklungen beeinflussen nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch das Leben und Wohlbefinden der Menschen, die in Brandenburg Schutz suchen. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie sich die Situation derzeit entwickelt, welche psychischen Belastungen besonders häufig auftreten und was helfen kann, trotz schwieriger Bedingungen Stabilität und Vertrauen zu finden.

Wie wirkt sich die derzeitige Asyl- und Migrationspolitik auf die psychische Gesundheit der Betroffenen aus?

Sophie: Viele Abläufe ziehen sich derzeit deutlich in die Länge. Besonders im Asylverfahren gibt es längere Wartezeiten auf Rückmeldungen. Für viele bedeutet das, über Monate oder sogar Jahre in einem Zustand der Ungewissheit festzustecken. Diese ständige Unsicherheit wirkt sich stark auf die psychische Gesundheit aus. Viele fühlen sich ausgeliefert und ohnmächtig.

Gleichzeitig wird die Asyl- und Migrationspolitik immer restriktiver. Viele geflüchtete Menschen empfinden das als zusätzlichen Stress, weil sie das Gefühl haben, ihre Lebensperspektive werde noch unsicherer. Auch wir als Fachkräfte spüren diese Veränderungen. Regelungen ändern sich häufig oder Informationen sind teils unklar. 

Welche Ängste und Belastungen begegnen dir in deiner Arbeit am häufigsten?

Sophie: Sehr häufig geht es um den Alltag in Gemeinschaftsunterkünften: das enge Zusammenleben, fehlende Privatsphäre und kaum Rückzugsmöglichkeiten. Hinzu kommen Sorgen rund um das Asylverfahren, vor allem die Angst vor Abschiebung. Viele Menschen bringen bereits psychische Belastungen mit, etwa durch Kriegserlebnisse, Gewalt oder den Verlust von Angehörigen. Auch Perspektivlosigkeit, finanzielle Sorgen und die Anpassung an ein völlig neues Umfeld sind häufige Themen. Viele Klient:innen berichten auch von großen Hürden beim Versuch, sich eine neue Perspektive in Deutschland zu erarbeiten. Wartezeiten für Deutschkurse, das Erhalten einer Arbeitserlaubnis und die Erreichbarkeit von Arbeitsstellen auf dem Land sind hierbei häufige Probleme. Die langen Wartezeiten im Asylverfahren verstärken all diese Belastungen zusätzlich. 

Wie wirkt sich die anhaltende Unsicherheit über den Aufenthaltsstatus oder eine mögliche Abschiebung auf das seelische Befinden aus?

Sophie: Diese Unsicherheit ist für viele kaum auszuhalten. Sie führt zu ständiger Anspannung. Menschen schlafen schlecht, sind nervös, unkonzentriert und oft erschöpft. Wenn die Frage „Darf ich bleiben?“ über Monate oder Jahre offen bleibt, wird es fast unmöglich, zur Ruhe zu kommen oder Vertrauen in die Zukunft zu entwickeln. Die Unsicherheit in Bezug auf die jeweilige Bleibeperspektive erschwert es den Klient:innen häufig auch, die Motivation und Energie, die in Integrationsleistungen gesteckt werden müsste aufrecht zu erhalten. Sie haben oft das Gefühl, dass ihre Mühen bei einer möglichen Ablehnung ins Nichts laufen würden. 

Inwiefern beeinflussen Angst und Unsicherheit das Vertrauen in Institutionen und das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein?

Sophie: Viele entwickeln ein gewisses Misstrauen gegenüber Behörden und Institutionen, besonders dann, wenn Entscheidungen als intransparent oder ungerecht wahrgenommen werden. Das erschwert den Integrationsprozess erheblich. Es liegt dabei nicht am fehlenden Willen, sondern daran, dass sich viele in einem System bewegen, das für sie unberechenbar und schwer durchschaubar wirkt. Hinzu kommen strukturelle Hürden und rassistische Erfahrungen, die das Vertrauen zusätzlich schwächen. Ob selbst erlebt oder aus dem Umfeld berichtet. Solche Erlebnisse erschüttern das Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit tiefgreifend.

Was hilft den Menschen trotz all dieser Unsicherheiten, Stabilität und Vertrauen zu finden?

Sophie: Oft sind es die kleinen, aber echten Begegnungen, die viel bewirken: eine verständnisvolle Sozialarbeiterin, ein engagierter Ehrenamtlicher, jemand, der einfach zuhört. Auch der Rückhalt in der eigenen Community spielt für viele eine große Rolle. Aufgrund von Erfahrungen im Herkunftsland ist es für manche Klient:innen jedoch auch schwierig, Vertrauen in Personen aus dem eigenen Herkunftsland, auf die sie in Deutschland treffen, zu haben. Für diese Klient:innen kann es hilfreich sein, in der psychologischen Beratung auf neutralem Boden neue und stabile Beziehungserfahrungen zu machen. Insgesamt sind Orte, an denen man sich sicher fühlt und gehört wird, unglaublich wichtig. Für viele ist das der erste Schritt, um wieder Vertrauen zu fassen.

In der Arbeit mit Klient:innen beobachte ich immer wieder die positiven Auswirkungen von strukturgebenden Dingen wie dem Besuchen von Deutschkursen oder der Berufstätigkeit. Ob diese positiv erlebten, häufig als stabilisierend wahrgenommenen Möglichkeiten bestehen, hängt hierbei zu einem großen Teil von den gegebenen staatlichen Strukturen und der Ausstellung einer Arbeitserlaubnis ab. Für viele Klient:innen bietet diese Beschäftigung eine Perspektive, eine Struktur für den Alltag und ein gewisses Gefühl an “Normalität”. Wichtig ist im Auge zu behalten, dass dies nicht für alle Klient:innen möglich ist. Klient:innen müssen oft Jobs in einer erschwerten Umgebung nachgehen.

Welche Faktoren gefährden die psychische Stabilisierung am stärksten?

Sophie: Vor allem die Lebensumstände in Gemeinschaftsunterkünften mit fehlender Privatsphäre, ständiger Unruhe und Unsicherheit über die Zukunft. Unter solchen Bedingungen ist es sehr schwierig, zur Ruhe zu kommen und psychische Stabilität zu finden. Die Verarbeitung von traumatischen oder belastenden Erlebnissen im Herkunftsland oder auf der Flucht wird häufig durch die weiterhin instabile und unsichere Situation erschwert. Sichere Perspektiven und Planungs- sowie Handlungsfreiheit wären hier grundlegend, um einen Rahmen für psychische Stabilisierung zu schaffen. 

Wo stößt du in deiner Arbeit an fachliche Grenzen?

Sophie: Ganz klar bei der Weitervermittlung. Es gibt zu wenig Therapieplätze, spezialisierte Angebote und erreichbare Angebote. In einem Flächenland wie Brandenburg kommen noch lange Wege und eingeschränkte Erreichbarkeit hinzu. Viele schaffen es daher nicht, regelmäßig Termine wahrzunehmen – sei es wegen der Entfernungen, Sprachbarrieren oder der Unbeständigkeit ihres Alltags. Eine langfristige therapeutische Begleitung wäre für viele dringend nötig, ist aber selten möglich. Wir können in der Beratung nur stabilisierend wirken. Wer tatsächlich eine Therapie braucht, hat oft einen sehr langen Weg vor sich. 

Auch in Bezug auf den rechtlichen Rahmen, gegeben durch das Asylverfahren und die damit einhergehenden Regelungen, zeigen sich fachliche Grenzen. Die Funktionsweise des Systems und die damit einhergehenden langen Wartezeiten verursachen große Unsicherheit und stellen eine akute psychische Belastung dar. Wir begleiten Klient:innen in diesem Prozess und versuchen Sie im Umgang mit dieser Unsicherheit zu stärken, haben jedoch oft wenig Handhabe für psychisch schwer belastete Klient:innen, kurzfristige praktische Veränderungen herbeizuführen, die sie entlasten und eine potentielle Chronifizierung ihrer Symptomatik abwenden könnte. 

Was wünschst du dir von Politik und Gesellschaft, um die psychische Gesundheit geflüchteter Menschen besser zu schützen?

Sophie: Zuerst einmal eine verlässliche und langfristige Finanzierung. Nur stabile Strukturen ermöglichen es, Vertrauen aufzubauen und kontinuierlich mit den Menschen zu arbeiten. Fachstellen brauchen Zeit, Ressourcen und gute Zusammenarbeit mit anderen Institutionen. Der Aufbau dieser Strukturen und Beziehungen und auch der Austausch über mögliche besondere Bedürfnisse unserer Klient:innen, um sie zu unterstützen, Zugang zum System zu erlangen, benötigen Zeit. Darüber hinaus wünsche ich mir mehr offene Begegnungsräume, Orte, an denen geflüchtete Menschen willkommen sind, sich austauschen und teilhaben können. Immer wieder höre ich in meinen Beratungsräumen den Wunsch, in Kontakt zu kommen, mit den Bewohner:innen des jeweiligen Ortes, außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft, um sich zu begegnen, Deutsch zu lernen und anzukommen. Ganz grundsätzlich wünsche ich mir mehr Offenheit, echtes Interesse und die Bereitschaft, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen.