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Statement

Psychosoziale Unterstützung statt Politisierung: Geflüchtete Menschen psychosozial besser Versorgen

7.2.2025

Brandenburg, 07.02.2025 – Die tragischen Ereignisse in Aschaffenburg erschüttern uns zutiefst. Unser Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Familien. Mit großer Sorge beobachten wir, wie die Tat eines einzelnen, psychisch erkrankten Mannes gegen die weitere Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland gewendet wird. Wir appellieren, diese Tat nicht dazu zu benutzen, geflüchtete und/oder psychisch erkrankte Menschen unter einen Generalverdacht zu stellen.

Als Psychosoziales Zentrum für geflüchtete Menschen in Brandenburg fordern wir eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen in der Aufnahme und der psychologischen Versorgung von geflüchteten Menschen. Darin sehen wir den fachlich geeigneten Weg, um das Risiko für derartige tragische Geschehnisse in Zukunft deutlich zu reduzieren. Die Ereignisse von Aschaffenburg können keine Begründung für die Verweigerung der Aufnahme politisch Verfolgter, Gefolterter, Kriegsopfer sowie Opfer von Vertreibung und Verelendung sein.

Versorgungsstrukturen statt Stigmatisierung

Geflüchtete Menschen sind aufgrund von Krieg, Gewalt und Verfolgung häufig psychisch stark belastet. Rund 30 Prozent von ihnen leiden an psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Neben diesen mitgebrachten psychischen Belastungen kommt eine oft herausfordernde Aufnahmesituation hinzu. Die zwangsweise Verteilung auf Bundesländer und Kommunen verhindert die Aufnahme bei Verwandten, Freunden und Bekannten, die Stabilität bieten könnten. Die langjährige Unterbringung in abgelegenen Gemeinschaftsunterkünften mit mehreren Personen in einem Zimmer, die Trennung von Ehepartner:innen und Kindern sowie der erschwerte Zugang zu Sprachkursen, Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe führen zu Hoffnungslosigkeit.

In unserer Beratung erfahren wir, dass unsere Klient:innen um die Anerkennung ihrer traumatischen Erlebnisse kämpfen müssen. Das ihnen entgegengebrachte Misstrauen und die fehlende Sicherheit über Jahre hinweg verhindern psychische Stabilisierung. Psychologische und psychosoziale Betreuung kann krisenhafte Zuspitzungen verhindern helfen. 

Systemische Unterversorgung und ihre Folgen

Ein funktionierendes Hilfesystem ist entscheidend, um psychische Traumatisierungen und andere schwerwiegende psychische Erkrankungen aufzufangen. Dennoch werden viele geflüchtete Menschen auch in Brandenburg gesundheitlich und psychosozial nicht ausreichend versorgt. Ein Clearing und eine angemessene präventive Unterstützung sind in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften häufig nicht ausreichend möglich. 

Träger der psychosozialen Versorgung Geflüchteter konnten in den letzten Jahren mit Unterstützung des Landes Brandenburg, der Landkreise und der Europäischen Union ein niedrigschwelliges ambulantes Versorgungssystem aufbauen und haben auch das kostenfreie Audio- und Videodolmetschsystem SaVD zur Verfügung. So konnten auch durch das PSZ Brandenburg psychotisch erkrankte Geflüchtete erkannt und in gesundheitliche Betreuung vermittelt werden.

Faktisch ist aber der Zugang von Geflüchteten zu intensiver psychotherapeutischer Versorgung trotz elektronischer Gesundheitskarte kaum möglich. Die niedergelassenen Psychotherapeut:innen sind durch einheimische Patient:innen ausgelastet und die Behandlung von Opfern von Folter, Misshandlung und Krieg würde für sie eine außerordentliche zusätzliche Belastung bedeuten. Niedergelassenen Psychotherapeut:innen, Psychiatern und Kliniken, die Geflüchtete notfallmäßig aufnehmen, fehlt es häufig an qualifizierter Sprachmittlung, da diese keine Kassenleistung ist. Klinikaufenthalte beschränken sich daher häufig auf kurzzeitige Kriseninterventionen. Eine nachsorgende Betreuung bleibt zumeist aus. Nach einer Krise kehren Betroffene in ihre belastende Wohnheimsituation und ihr Leben mit ungeklärter Perspektive und Angst zurück. Bislang gibt es in Brandenburg keine Möglichkeiten, schwer belastete psychisch kranke Geflüchtete in fachlich geeigneten betreuten Wohnformen unterzubringen.

Aktuell werden die Bemühungen unserer Einrichtung seit Jahresbeginn besonders durch die Kürzung der Bundeszuwendungen für alle bundesweiten Psychosozialen Zentren für Geflüchtete auf die Hälfte belastet.

Ein unzureichendes Aufnahme- und Versorgungssystem kann im Einzelfall zu einer dramatischen Verschärfung der psychischen Belastungen von Geflüchteten und einem erhöhten Risiko für krisenhafte Entwicklungen führen. Nicht selten werden wir von Mitarbeitenden aus Wohnheimen auf solche Krisensituationen aufmerksam gemacht.

Strukturelle Reformen statt untauglicher asyl- und migrationspolitischer Maßnahmen

Um tragischen Ereignissen wie in Aschaffenburg präventiv vorzubeugen, braucht es anstelle untauglicher asyl- und migrationspolitischer Maßnahmen nachhaltige Reformen im Aufnahme- und Versorgungssystem. Notwendig sind unter anderem:

  • Ein frühzeitiges Screening-Programm,

  • Der Zugang Betroffener zu intensiver psychotherapeutischer Behandlung und qualifizierten Dolmetscherleistungen,

  • Die Unterbringung psychisch schwer belasteter und erkrankter Geflüchteter in betreuten Wohnformen,

  • Eine bessere Unterstützung der psychosozialen Zentren für Geflüchtete und deren stärkere Vernetzung mit psychiatrischen und medizinischen Regeleinrichtungen.

Hintergrund

KommMit e.V., Psychosoziales Zentrum für geflüchtete Menschen in Brandenburg  (PSZ) unterstützt seit über zehn Jahren die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten in Brandenburg und ist dort mit 13 Beratungsstellen vertreten. Ziel unserer Arbeit ist es, die psychische, gesundheitliche, soziale und rechtliche Situation von geflüchteten Menschen in Brandenburg zu verbessern; wir unterstützen insbesondere Menschen, die aufgrund von Folter, Verfolgung, Krieg, Misshandlungen oder Flucht an psychischen Problemen leiden.

Unsere Arbeit wird durch europäische Mittel, Bundesmittel, Landesmittel, Mittel der Landkreise und Städte, Mittel der evangelischen Kirche und des Diakonischen Werkes sowie durch Mittel der UNO-Flüchtlingshilfe und von verschiedenen Stiftungen finanziert. 

Mehr Informationen zu unserer Arbeit finden Sie unter: www.kommmit.eu