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Interview

Ein bisschen Normalität – und der Kopf wird frei

1.4.2025

Wie Boxen Menschen mit Fluchterfahrung helfen kann

Dass Boxen mehr als nur ein Sport sein kann, zeigt ein besonderes Angebot in Potsdam: Im Rahmen der psychosozialen Arbeit wurde dort eine therapeutische Boxgruppe für junge Menschen mit Fluchterfahrung ins Leben gerufen. Ziel ist es, über den Sport neue Kraft, Kontrolle – und vielleicht auch ein Stück Normalität – zurückzugewinnen. Geleitet wird die Gruppe von Jakob, Psychologe und seit über einem Jahr bei KommMit-PSZ am Standort Potsdam. Wir haben mit ihm über seine Motivation, die Wirkung von Kampfsport auf die Psyche und seine Vision für die Zukunft der Gruppe gesprochen.

Wie kann Boxen dabei helfen, psychisch wieder stärker zu werden?

Jakob: Sport hilft grundsätzlich dabei, Anspannung und Stress abzubauen – unabhängig von den Lebensumständen. Meistens fühlt man sich nach dem Training einfach besser. Beim Boxen kommt aber noch etwas Besonderes hinzu: Es stärkt das Körpergefühl und die Verbindung zwischen Körper und Psyche. Viele Menschen, die psychisch belastet sind, empfinden sich im eigenen Körper als fremd. Boxen fordert volle Konzentration – auf die eigenen Bewegungen und auf die des Gegenübers. Das bringt einen ganz automatisch ins Hier und Jetzt. Und genau das kann sehr heilsam sein.

Wie entstand die Idee, eine therapeutische Boxgruppe für junge Geflüchtete aufzubauen?

Jakob: Während meiner Ausbildung zum Psychotherapeutens (PT2) habe ich mit einer Kollegin gearbeitet, die therapeutisches Boxen angeboten hat – dort habe ich erste Erfahrungen gesammelt. Danach habe ich mich intensiver mit Kampfsport und seinen psychologischen Effekten beschäftigt. Besonders inspiriert hat mich ein Austausch mit einer Boxtherapie-Einrichtung in Bristol. Als das Projekt Freiland Potsdam dann angeboten hat, einen Raum bereitzustellen, war für mich klar: Ich probier’s einfach!

Welche positiven Effekte erhoffst du dir für die Teilnehmenden?

Jakob: Ich wünsche mir, dass das Training ein Ort wird, an dem der Alltag – mit all seinen Sorgen, etwa rund ums Asylverfahren – kurz Pause macht. Wo man lachen, sich bewegen und neue Menschen treffen kann. Boxen hilft oft dabei, sich selbst wieder näherzukommen – gerade, wenn es schwerfällt, über Probleme zu sprechen. Und vieles, was man im Training lernt – Ausdauer, Zielstrebigkeit, Selbstkontrolle – lässt sich auch auf das Leben übertragen. Es geht darum, wieder ein Stück Selbstwirksamkeit zu spüren.

Die Gruppe richtet sich speziell an junge Menschen. Wie beeinflusst das das Training?

Jakob: Das Training ist so gestaltet, dass es nicht nur um Technik geht, sondern auch um Fitness, Bewegung und Spaß. Ich hoffe, dass die Jugendlichen sich in ihren Themen, Fragen oder auch Sorgen wiedererkennen. Daraus können Gespräche entstehen – vielleicht sogar Freundschaften. Ganz nebenbei lernen sie, sich Ziele zu setzen und dranzubleiben. Genau das ist eine der stärksten Seiten vom Boxen.

Was ist dir in der Arbeit mit der Gruppe besonders wichtig?

Jakob: Vielleicht klingt’s plakativ, aber: Je weniger Lust du hast, zum Sport zu gehen – desto besser fühlst du dich danach.

Mir geht es darum, einen Raum zu schaffen, in dem man einfach so sein darf, wie man gerade ist. Man muss nicht funktionieren. Ich orientiere mich dabei auch an der Acceptance and Commitment Therapy – einer Methode, die dabei hilft, trotz belastender Gedanken den eigenen Werten zu folgen. Genau das kann man beim Boxen wunderbar üben: dranzubleiben, sich zu spüren, sich Herausforderungen zu stellen – und so wieder ein Stück Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen.

Wie lief der Start der Gruppe – gab es Herausforderungen?

Jakob: Es war schwieriger als gedacht, überhaupt erstmal Teilnehmende zu gewinnen. Aber inzwischen haben wir losgelegt – und mit dem Sportraum im Freiland Potsdam einen großartigen Ort gefunden. Die Sprachbarriere ist natürlich eine Herausforderung. Oft helfen Übersetzungsapps auf dem Handy. Aber abgesehen davon erlebe ich die Teilnehmenden als sehr offen, motiviert und neugierig.

Wie können Interessierte teilnehmen – und was sollten sie mitbringen?

Jakob: Wir haben Flyer in Unterkünften, Beratungsstellen und Einrichtungen verteilt. Wer Interesse hat, kann sich direkt bei mir melden. Es braucht keine Vorkenntnisse – allein die Motivation, sich zu bewegen, reicht völlig aus.

Was wünschst du dir für die Zukunft der Gruppe?

Jakob: Ich wünsche mir, dass wir als Gruppe weiter wachsen – nicht nur in der Zahl, sondern auch im Miteinander. Dass Vertrauen entsteht, sodass auch schwierigere Themen angesprochen werden können. Und ich fände es großartig, wenn die Teilnehmenden über das Boxen hinaus einen Zugang zum Freiland Potsdam finden – dort gibt es so viele Möglichkeiten, sich einzubringen, neue Leute kennenzulernen und Teil einer Gemeinschaft zu werden. Wenn das gelingt, wäre das ein richtig schöner Erfolg.