Pushbacks und die Erzählung von der „illegalen“ Einreise
Als Psychosoziales Zentrum für geflüchtete Menschen in Brandenburg beobachten wir mit großer Sorge die aktuellen Entwicklungen an den deutschen Außengrenzen und vor allem an der deutsch-polnischen Grenze. Die von der neuen Bundesregierung eingeführten verschärften Grenzkontrollen sowie die damit verbundenen Zurückweisungen von Schutzsuchenden werfen gravierende humanitäre und rechtliche Fragen auf.
Neue Grenzpraxis: Wie Zurückweisungen das Asylrecht unterlaufen
Am ersten Tag seiner Amtszeit kündigte Bundeskanzler Merz die umfassende Verschärfung der Grenzkontrollen an. Innenminister Alexander Dobrindt wies die Bundespolizei an, Asylsuchende ohne gültige Einreisedokumente an den Grenzen zurückzuweisen – gestützt auf § 18 Absatz 2 Nr. 1 des Asylgesetzes. Damit werden die normalerweise verpflichtenden Dublin-Verfahren faktisch ausgesetzt. Nur Personen, die als „erkennbar vulnerabel“ gelten, sollen weiterhin an zuständige Stellen oder Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet werden.
Diese Praxis widerspricht grundlegenden internationalen Abkommen, insbesondere der von Deutschland ratifizierten Genfer Flüchtlingskonvention, die das Recht auf Asyl unabhängig von der Art der Einreise schützt. Eine pauschale Zurückweisung ohne individuelle Prüfung des Schutzbedarfs verletzt diese völkerrechtlichen Verpflichtungen.
Diese Einschätzung wurde nun durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom Mai 2025 bestätigt: Die Zurückweisung von drei somalischen Schutzsuchenden an der deutsch-polnischen Grenze wurde als rechtswidrig eingestuft, da bereits die Äußerung eines Schutzgesuchs ausreicht, um Anspruch auf ein Asylverfahren zu haben. Dieses Urteil stellt klar, dass die bisherige Praxis der Bundespolizei mit geltendem Recht nicht vereinbar ist. Dennoch will die Bundesregierung an der rechtswidrigen Praxis festhalten.
Schengen unter Druck: Rechtslage und Realität der Binnengrenzkontrollen Deutschland ist Teil des Schengenraums, der den freien Personenverkehr innerhalb der EU garantiert. Grenzkontrollen an den Binnengrenzen sind gemäß Schengener Grenzkodex nur in klar definierten Ausnahmefällen zulässig – etwa bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit – und zeitlich eng begrenzt. Die Reform des Grenzkodex im Jahr 2024 hat diese Bedingungen konkretisiert und eine maximale Dauer solcher Maßnahmen auf bis zu drei Jahre festgelegt, sofern die EU-Kommission zustimmt.
In der Realität jedoch wurden Grenzkontrollen vielfach über die zulässigen Fristen hinaus verlängert – insbesondere an der deutsch-österreichischen Grenze, wo sie seit 2015 mit Verweis auf Migrationsbewegungen andauern. Seit 2023 wurden zusätzlich Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz eingeführt. Diese Maßnahmen stoßen zunehmend auf rechtliche Kritik: So erklärten sowohl das Verwaltungsgericht München als auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im März 2025 die über sechs Monate hinausgehenden Grenzkontrollen an der österreichischen Grenze für rechtswidrig. Selbst wenn Grenzkontrollen zeitweilig zulässig sind, rechtfertigen sie die Zurückweisung von Menschen, die Schutz vor politischer Verfolgung suchen, nicht.
„Illegale Einreise“? Warum Sprache Schutzsuchende kriminalisiert
Im öffentlichen Diskurs wird häufig von „illegaler oder irregulärer Einreise“ gesprochen, wenn Schutzsuchende ohne gültige Papiere nach Deutschland kommen. Dabei wird jedoch übersehen, dass viele Menschen auf der Flucht keine Möglichkeit haben, gültige Dokumente zu beschaffen. Sie müssen ihre Herkunftsländer oft kurzfristig und unter Lebensgefahr verlassen. Häufig verweigern Verfolgerstaaten die Ausstellung von Pässen und es gibt keinerlei Visa, die zur Einreise mit dem Zweck der Asylbeantragung berechtigen würden. Zwar existieren legale Wege zur Aufnahme von geflüchteten Menschen, etwa über Resettlement-Programme, das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan oder den Familiennachzug – in der Praxis stehen diese jedoch nur sehr wenigen Menschen offen. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag plant, freiwillige Aufnahmeprogramme zu beenden und den Familiennachzug weiter zu begrenzen – was den Zugang zu Schutz weiter erschweren wird.
Aus rechtlicher Sicht ist es deshalb ausdrücklich zulässig, dass Schutzsuchende auch ohne Pass oder Visum nach Deutschland einreisen, um hier Asyl zu beantragen. Die Genfer Flüchtlingskonvention schützt sie dabei vor Strafverfolgung wegen illegaler Einreise. Das Grundgesetz garantiert politisch Verfolgten ein individuelles Asylrecht. Die entsprechenden Bestimmungen im Aufenthaltsgesetz, die die Einreise ohne gültige Dokumente unter Strafe stellen, gelten ausdrücklich nicht für Personen, die ein Asylgesuch äußern. Die Verwendung des Begriffs „illegal“ oder “irregulär” suggeriert eine Straftat, wo keine vorliegt. Sie kriminalisiert Schutzsuchende, obwohl sie ihr legitimes Recht wahrnehmen, in einem sicheren Land Schutz zu suchen.
Rechtslage an der Grenze: Wann Zurückweisung (nicht) erlaubt ist
Rechtlich ist streng zu unterscheiden zwischen einer Zurückweisung und einer Zurückschiebung. Eine Zurückweisung erfolgt direkt an der Grenze, bevor eine Person offiziell eingereist ist, und ist laut § 15 Aufenthaltsgesetz nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig – etwa wenn keine Reisedokumente vorliegen und kein Schutzgesuch geäußert wurde. Eine Zurückschiebung dagegen betrifft Personen, die bereits eingereist sind und anschließend festgestellt wird, dass sie sich unrechtmäßig oder nicht mehr rechtmäßig in Deutschland aufhalten.
Unzulässig ist eine Zurückweisung jedoch immer dann, wenn ein Asylgesuch geäußert wird – also wenn eine Person erkennbar zu verstehen gibt, Schutz in Deutschland zu suchen. Ein solches Gesuch kann mündlich, schriftlich oder nonverbal erfolgen. In diesem Fall ist die Bundespolizei verpflichtet, die betreffende Person zur Durchführung eines Asylverfahrens an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiterzuleiten (§§ 13 und 18 AsylG).
Sogenannte „Pushbacks“ – also Zurückweisungen ohne Erfassung, Prüfung oder Zugang zum Asylverfahren – sind mit dieser Rechtslage unvereinbar. Sie stellen einen klaren Verstoß gegen das deutsche Asylrecht, gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen EU-Rechte (Dublin-III-Verordnung).
Keine Pauschallösungen: Die Pflicht zur Einzelfallprüfung im Dublin-System
Ob Deutschland oder ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist, wird im sogenannten Dublin-Verfahren geprüft. Nach diesem System ist in der Regel derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem eine geflüchtete Person zuerst europäischen Boden betreten hat – häufig also Staaten an den EU-Außengrenzen wie Italien, Griechenland oder Polen.
Deutschland profitiert strukturell von dieser Regelung, ist aber nach Dublin-III-Verordnung verpflichtet, jede schutzsuchende Person in ein faires Verfahren zu überführen, in dem festgestellt werden muss, welches der zuständige Mitgliedsstaat ist. Eine individuelle Prüfung ist unabdingbar und darf nicht durch Schnellentscheidungen oder pauschale Grenzmaßnahmen ersetzt werden.
Denn es darf nach Dublin-III-Verordnung nicht in einen Staat zurückgewiesen werden, in dem Asyl- und Sozialsystem systematische Schwächen aufweist. (u.U. Italien, Griechenland, Ungarn, Bulgarien, Kroatien) und es besteht ein Anspruch auf Aufnahme, wenn im Zielstaat bereite Ehepartner:innen, minderjägrige Kinder, Geschwister oder hilfsbedürftige Verwandte leben oder sonstige dringende (gesundheitliche) Gründe vorliegen.
Zwischen Angst und Ausgrenzung: Psychosoziale Folgen der Abschottungspolitik
Die Folgen der Zurückweisungspraxis sind für die betroffenen Menschen tiefgreifend. Viele geflüchtete Menschen haben bereits in ihren Herkunftsländern und auf ihrer Flucht schwerste Traumatisierungen erlitten. Die Erfahrung, trotz geäußertem Schutzbedarf an der Grenze abgewiesen zu werden, kann diese Traumata verstärken oder neue psychische Belastungen hervorrufen.
In unserer Beratungspraxis wird täglich deutlich, welche konkreten humanitären Folgen feindliche politische Rhetorik und restriktive Grenzpolitik für Schutzsuchende haben können. Immer häufiger begegnen uns Menschen, die unter aktualisierten schweren psychischen Belastungen leiden – darunter Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Symptome und psychosomatische Beschwerden. Die Unsicherheit über den eigenen Status, die Angst vor einer Rückführung und das Fehlen von Perspektiven auf ein sicheres Leben verschärfen diese Belastungen zusätzlich. Die strukturelle Ablehnung druch staatliche Behörden verletzt das fundamentale Bedürfnis der Betroffenen nach Schutz und kann retraumatisierend wirken.
Ein Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde
Die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung stehen nicht nur im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsverpflichtungen, sondern gefährden auch den innerstaatlichen Rechtsstaat. Die Genfer Flüchtlichtskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und EU-Recht verpflichten Deutschland, Schutzsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewähren. Die Praxis, Schutzsuchende pauschal und ohne Prüfung ihres individuellen Schutzbedarfs zurückzuweisen, verletzt diese Verpflichtungen in gravierender Weise.
Unser Appell: Für eine menschenrechtsbasierte Asylpolitik
Als Psychosoziales Zentrum für geflüchtete Menschen in Brandenburg setzen wir uns für eine Asylpolitik ein, die den Schutz von Menschen in den Mittelpunkt stellt – getragen von den Prinzipien des Rechtsstaats und der universellen Menschenrechte. Statt Abschottung fordern wir rechtlich fundierte und solidarische Wege der Aufnahme von geflüchteten Menschen und letztelich die gesellschaftlichen Teilhabe von Schutzsuchenden.
Weiterführende Links:
https://verfassungsblog.de/zuruckweisung-grenze-kontrolle-dobrindt/
https://www.proasyl.de/news/was-sind-eigentlich-zurueckweisungen/
https://aktionsbuendnis-brandenburg.de/faktencheck-scheinloesung-grenzkontrolle/
https://aktionsbuendnis-brandenburg.de/faktencheck-einreisewege-nach-deutschland/