Was wir von der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter lernen können
Als Anfang 2022 Millionen Menschen vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, stand Europa vor einer großen Aufgabe: schnelle Hilfe, sichere Aufnahme – und die Frage, wo sollen die Menschen unterkommen?
Die Antwort war die bisher nie angewandte EU-Richtlinie über den vorübergehenden Schutz (Richtlinie 2001/55/EG). Zum ersten Mal seit ihrer Einführung 2001 trat diese Regelung in Kraft – mit weitreichenden Folgen für die Wohnsituation ukrainischer Geflüchteter in Deutschland.
Was ist die EU-Richtlinie über den vorübergehenden Schutz?
Die Richtlinie über den vorübergehenden Schutz wurde 2001 eingeführt, um EU-Mitgliedstaaten zu ermöglichen, im Falle eines plötzlichen Zustroms von geflüchteten Menschen humanitären Aufenthalt zu gewähren, ohne dass ein Asylantrag gestellt werden muss. In Deutschland wurde dieser Grundsatz in § 24 des Aufenthaltsgesetzes umgesetzt. Die Richtlinie wurde am 4. März 2022 aktiviert und gilt für alle Menschen, die seit dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflohen sind. Sie gewährt ukrainischen geflüchteten Menschen schnellen Zugang zu Wohnraum, Arbeit, Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen. Im Gegensatz zu Schutzsuchenden aus anderen Ländern können Ukrainer:innen ihren Wohnort frei wählen und so in Privatwohnungen, bei Familieangehörigen oder Freunden wohnen. Alternativ können sie sich auch für eine staatliche Unterkunft entscheiden.
Private Unterkünfte sind dabei die häufigste Wahl: Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lebten Anfang 2023 rund 79 % der ukrainischen geflüchteten Menschen in einer privaten Unterkunft.
Vorteile der EU-Richtlinie über den vorübergehenden Schutz für die Wohnsituation
Die Richtlinie über den vorübergehenden Schutz hat sich für die Wohnsituation ukrainischer Geflüchteter in Deutschland als klarer Vorteil erwiesen. Da sie nicht verpflichtet sind, in Gemeinschaftsunterkünften zu leben, können sie selbst entscheiden, wo sie wohnen möchten. Viele nutzen diese Möglichkeit, um bei Familie, Freunden oder in Regionen mit bestehenden sozialen Kontakten unterzukommen. Solche Netzwerke erleichtern den Zugang zu Arbeit, Informationen und sozialen Diensten – und stärken zugleich das psychische Wohlbefinden.
Wenn Geflüchtete ihren Wohnort frei wählen können, lassen sich ihre individuellen Bedürfnisse besser berücksichtigen – etwa eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, ausreichend Kinderbetreuung oder ein Arbeitsplatz in der Nähe. All das ist in meiste abgelegenen Gemeinschaftsunterkünften häufig nicht gegeben. Der Wohnort hat also einen entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftliche Teilhabe.
Wie wirkt sich die aktuelle Wohnsituation aus?
Studien zeigen, dass private Unterbringung im Vergleich zu staatlichen Gemeinschaftsunterkünften mit einer besseren gesellschaftlichen Teilhabe verbunden ist. Forschungen des Immigration Policy Lab der Stanford University und der ETH Zürich deuten auf einen positiven Zusammenhang zwischen privater Unterbringung und den sozialen, psychischen sowie praktischen Aspekten der gesellschaftlichen Teilhabe ukrainischer Geflüchteter hin.
Was können wir daraus lernen?
Die Anwendung der EU-Richtlinie über den vorübergehenden Schutz zeigt deutlich, dass der Zugang von Geflüchteten zum Wohnungsmarkt in erster Linie davon abhängt, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Da die private Unterbringung die gesellschaftliche Teilhabe ukrainischer Geflüchteter nachweislich erleichtert hat, sollte diese Option auch anderen geflüchteten Menschen zugänglich gemacht werden. Wer selbst entscheiden kann, wo er lebt, kann bestehende Netzwerke nutzen, fühlt sich psychisch stabiler, kommt leichter in einer neuen Umgebung an und kann aktiver am gesellschaftlichen Leben teilhaben.
In unserer Reihe „Wohnen für alle“ präsentieren wir euch regelmäßig inspirierende Initiativen, Modelle und Ideen aus Brandenburg und ganz Deutschland, die sich für eine Verbesserung der Wohnbedingungen von geflüchteten Menschen einsetzen.